Frauenmord in der Schweiz: Gewalt gegen Frauen schlägt in Kosovo hohe Wellen (2024)

Gewalt an Frauen schlägt in Kosovo hohe Wellen – auch als Reaktion auf einen aktuellen Fall aus der Schweiz.

Volker Pabst, Istanbul

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Frauenmord in der Schweiz: Gewalt gegen Frauen schlägt in Kosovo hohe Wellen (1)

In Kosovo war der 17.April dieses Jahr ein nationaler Trauertag. Staatspräsidentin Vjosa Osmani ordnete dies an, nachdem in dem kleinen Land innerhalb einer Woche zwei Frauen von ihrem Ehemann beziehungsweise dem Ex-Partner umgebracht worden waren. Der Tag sei dem Gedenken aller Frauen und Mädchen gewidmet, die in Kosovo Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt würden, erklärte Osmani.

Debatte um kulturellen Kontext

Das Thema schlägt regelmässig hohe Wellen im jüngsten Staat Europas. Als vor anderthalb Jahren ebenfalls innert weniger Tage zwei Frauen ermordet wurden, gab es in der Hauptstadt Pristina Protestkundgebungen. Frauenrechtsorganisationen forderten, das Problem müsse als nationaler Notstand betrachtet werden.

Nur wenige Wochen davor, im September 2022, hatte es auch in der Schweiz einen Frauenmord mit Bezug zu Kosovo gegeben. Das Opfer war noch als Kind von dort mit der Familie in die Schweiz gekommen. Ihr in Graubünden geborener und aufgewachsener Ehemann, der Tatverdächtige, entstammt einer albanischen Familie aus Nordmazedonien.

Femizid in der kosovo-albanischen Diaspora: Urteil am Freitag

sgi. War es Totschlag? Oder war es Mord? Ein 47-jähriger Mann erwürgte und ertränkte im Herbst 2022 seine 41-jährige Frau, in ihrer eigenen Badewanne. Die Tat, begangen in einer Aargauer Gemeinde in der Zürcher Agglomeration, wurde diese Woche vor dem Bezirksgericht Baden verhandelt. Wegen der Prominenz der Getöteten – es handelt sich um eine in der kosovo-albanischen Diaspora weithin bekannte Ökonomin – war das Medieninteresse gross.

Vier Tage lang berichteten Zeugen, Angehörige und der Beschuldigte von der schier unglaublichen Vorgeschichte der Tat. Überwachtes Handy, durchsuchter Laptop, Überwachungskameras im ganzen Haus: Dem Beschuldigten wurde vorgeworfen, schon vor der Tat die Privatsphäre seiner Frau verletzt und ihr gegenüber einen Machtanspruchentwickelt zu haben. Dieser seiin der brutalen Tötungkulminiert, mit der er sie für eine Beziehung mit einem anderen Mann habe bestrafen wollen. Die Staatsanwaltschaft beantragte deshalb eine Verurteilung wegen Mordes und eine Freiheitsstrafe von 18 Jahren.

Der Täter ist geständig. Er behauptet jedoch, er habe das Deliktim Affekt begangen. Von Gefühlen übermannt, sei er seiner Sinne nicht mehr mächtig gewesen. Die Verteidigung beantragte deshalb eine Verurteilung zu 8 Jahren Freiheitsstrafe wegen Totschlags. Schwierig zu erklären war für sie allerdings, warum der Beschuldigte den Tod seiner Frau sofort nach der Tat, und mit erheblichem Aufwand, als Selbstmord zu kaschieren versucht hatte.

Das Urteil des Gerichts wird für Freitagnachmittag erwartet. Schon jetzt hat der Fall für eine breite Debatte gesorgt, über Femizide in der Schweiz im Allgemeinen und Frauenfeindlichkeit in der kosovo-albanischen Diaspora im Speziellen.

In der Berichterstattung zum Gerichtsfall, der diese Woche zum Abschluss kommen könnte, ist auch vom kulturellen Hintergrund des Ehepaars die Rede. Das Wort «Ehrenmord» fällt. Hatte der Ehemann das Opfer nicht wegen einer Affäre getötet? Der Richter fragt Angehörige und Zeugen sogar, ob sie sich vor «Blutrache» fürchteten.

Solche Begriffe sind eher zur Bestätigung von Stereotypen geeignet als zur Erklärung der gesellschaftlichen Realität. Ganz abgesehen davon, dass die Tat in keinerlei Zusammenhang mit einer Familienfehde stand.

Patriarchalische Gesellschaft

Dennoch stellt sich die Frage nach der Gewalt gegen Frauen im kosovarischen Kontext. Die Frauenrechtlerin Zana Avdiu verweist auf die starken patriarchalischen Strukturen, die im südosteuropäischen Land weiterhin Bestand hätten. Dies zeige sich etwa darin, wie Besitz vererbt werde oder in die Ausbildung welches Kindes investiert werde.

Ein Sohn gelte in vielen Familien immer noch mehr als eine Tochter, sagt die junge Frau, die in Kosovo eine eigene Talkshow leitet. «Männer werden in der Überzeugung erzogen, mehr wert zu sein als Frauen.» Dies leiste der Gewalt gegen Frauen Vorschub.

Diese Werte leben laut Avdiu oftmals auch in der Diaspora fort. Dort seien die Männer paradoxerweise nicht selten sogar konservativer als in der Heimat, weil sie glaubten, so in der Fremde die eigene kulturelle Identität bewahren zu können.

Avdiu erlangte in Kosovo einige Bekanntheit, als sie im Fernsehen Granit Xhaka des Machismo bezichtigte, nachdem sich der schweizerisch-kosovarische Fussballer in einem Spiel gegen Serbien öffentlich in den Schritt gegriffen hatte. Daraufhin wurde sie heftig von Xhakas Vater angegriffen und erhielt viele Droh-Mails.

Dünne Datenlage

Auch Andrijana Covic von der serbischen Frauenrechtsorganisation FemPlatz sieht in der Gesellschaftsstruktur einen Erklärungsansatz. Hinzu kämen weitere Faktoren, wie die grosse Verfügbarkeit von Waffen und die kollektive Gewalterfahrung während der Jugoslawienkriege. All dies gelte nicht nur für Kosovo, sondern für den gesamten Westbalkan.

FemPlatz dokumentiert Gewalt gegen Frauen in der Region. Weil geschlechtsspezifische Gewalt mit Ausnahme Nordmazedoniens im Westbalkan keinen gesonderten Tatbestand darstelle, gebe es allerdings nur wenig belastbare Daten, sagt Covic. Aussagen zur jeweiligen Prävalenz in den unterschiedlichen Ländern seien entsprechend schwierig.

Hinweise darauf, dass das Problem in Kosovo oder im albanischen Sprachraum besonders ausgeprägt sei, gebe es aber nicht. Auch der Verweis auf den Islam greife zu kurz. Bei der gesetzlichen Gleichstellung von Mann und Frau und somit auch beim Schutz von Frauen sei die Gefahr von Rückschritten etwa in Serbien wegen des grossen Einflusses der sehr konservativen orthodoxen Kirche auf die Regierung deutlich grösser, sagt Covic.

In Kroatien hatte dazumal die katholische Kirche den Beitritt zur Istanbul-Konvention, dem wichtigsten Abkommen zum Schutz von Frauen, kritisiert. In Kosovo ist die gesellschaftspolitische Bedeutung der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften im Vergleich relativ gering. Nicht nur der kulturelle, auch der politische Kontext spielt eine Rolle.

Milde Strafen für schwere Vergehen

Darauf verweist auch Adelina Berisha von der Frauenrechtsorganisation Kosovo Women’s Network in Pristina. Dass in Kosovo häufig öffentlich über Gewalt an Frauen gesprochen werde, habe auch mit der starken Zivilgesellschaft im Land zu tun. In den Nachbarstaaten gebe es für solche kritischen Debatten weniger Platz.

Die Regierung in Pristina, die um ein progressives Bild bemüht ist, unterstützt dies. Der Kampf gegen Gewalt an Frauen war während eines Jahres sogar ein Schwerpunktthema. Prominent äusserte sich vor allem Justizministerin Albulena Haxhiu. Nach den zwei Mordfällen im April forderte Haxhiu eine härtere Bestrafung der Täter. Auch an der Beisetzung der in der Schweiz getöteten Frau in ihrem kosovarischen Heimatort nahm die Ministerin teil.

Handlungsbedarf bestehe natürlich dennoch, sagt die Aktivistin Berisha, besonders bei der Umsetzung der geltenden Regeln. Gewaltopfer würden oftmals nicht ernst genommen, oder ihnen werde eine Mitverantwortung zugeschrieben, wenn sie sich bei der Polizei meldeten. «Victim blaming» heisst das im Fachjargon. Schutzmassnahmen wie ein Kontaktverbot würden, wenn überhaupt, oftmals nur halbherzig verfügt.

Viele Richter behandelten die Taten zudem immer noch wie Bagatelldelikte. Der Täter bei einem der beiden Mordfälle im April war schon früher wegen häuslicher Gewalt verurteilt worden, hatte aber nur eine Strafe von 300 Euro erhalten. So entstehe keine abschreckende Wirkung.

Berisha sagt: «Gewalt, besonders häusliche Gewalt, wird als Privatsache betrachtet, in die sich die Justiz nicht wirklich einzumischen hat. Diese Einstellung muss sich ändern.»

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